Text: Susanne Donner Fotografie: Michael Hudler
• Wer den Eingangsbereich der neuen Sauna im Stadtteil Karlsruhe-Durlach betritt, hört entspannende Musik und sieht eine Cafeteria mit samtblauen Sesseln und Sofas. Man schlüpft in Badehose oder Bikini und Badelatschen. Und dann das: Mütze, Ohrenschützer, Mundschutz und Handschuhe. Denn in der wenige Quadratmeter großen Kabine herrscht eine Temperatur von minus 115 Grad Celsius. Es ist kälter als in der Antarktis. Man stellt sich höchstens drei Minuten da hinein. Der Atem gefriert zu Eisnebel.
„Schmerzen lassen nach, und Sportler regenerieren schneller“, so bewerben die Gründerinnen Tatjana Utz-Erhardt und Rebecca Frank ihre Firma Coolinn. Seit 2019 betreiben die Schwestern diese zu zweit. Es sei die erste öffentliche Kältesauna dieser Art, sagen sie. Weitere sollen folgen.
Für die Wellness-Industrie wird das Geschäft mit der Kälte immer lukrativer, auch Hochleistungssportler setzen auf deren Wirkung: Die Mannschaft des FC Bayern München beispielsweise sauniert nach dem Spiel in einer eisigen Kammer.
Allerdings verwenden viele Hersteller bislang das Mittel R23, auch Trifluormethan genannt, um die Kälte zu erzeugen. „Ein 14 800-mal so starkes Treibhausgas wie Kohlendioxid“, sagt der Kälteingenieur Michael Kauffeld von der Hochschule Karlsruhe. 2014 hat die EU den Einsatz dieses Kältemittels verboten, seitdem gilt eine Übergangsregelung: Die erlaubten Produktionsmengen sind über ein internationales Abkommen, das Montreal-Protokoll, gedeckelt und sinken immer weiter. R23 wird dadurch stetig teurer.
Die Karlsruher Kammer ist laut Kauffeld die erste, die nur mit Luft kühlt. Sie braucht kein Kühlmittel, das überwacht werden muss. Außerdem benötigt sie deutlich weniger Strom. Das sei eine „Weltneuheit“, schreibt die Fachzeitschrift »Die Kälte + Klimatechnik«.
Erfunden hat sie der Ingenieur Thomas Frank, Rebecca Franks Ehemann. Nach seinem ersten Besuch in einer Kältesauna im Jahr 2016 schmerzte sein linkes Knie nicht mehr, das ihm damals nach einer Operation Probleme bereitet hatte. Doch als er die Anlage sah, dachte er: „Das kann ich besser.“
Deshalb kehrte Frank 2019 dem Konzern Johnson Controls den Rücken und gründete ein Ingenieurbüro für Kältetechnik namens Refolution. Wochenlang bauten Monteure unter seiner Anleitung den ersten Prototyp der Kältesauna. „Ich hatte eigentlich einige Monate eingeplant. Aber nach ein paar Wochen waren wir zufrieden“, sagt Frank. Der Grad der Luftfeuchtigkeit stimmte, und die Kälte wurde gleichmäßig verteilt. Eiskalte Füße und ein warmer Kopf sind beispielsweise extrem unangenehm. Und zu feuchte Kälte schmerzt so sehr auf der Haut, dass man es nur ein paar Sekunden aushält.
Die Kaltlufttechnik kommt vom österreichischen Start-up Mirai Intex. Dessen Kältemaschine erreicht durch den sogenannten Luftpumpeneffekt extreme Minusgrade. Das kann man sich so vorstellen: Drückt man eine Luftpumpe mit geschlossenem Ventil zusammen, erwärmt sich die Luft im Inneren. Lässt man die Wärme abfließen und zieht die Pumpe dann auseinander, wird die Luft darin kalt. Wiederholt man dies sehr oft, kann man extrem niedrige Temperaturen erzeugen. Mit diesem umweltschonenden Verfahren kühlen auch die ICE-3-Modelle ihre Kabinen – freilich nur auf Raumtemperatur.
Für die Kälte gewappnet: die Gründerinnen und der Erfinder
Rund 250.000 Euro kosteten die Materialien für die erste Kältekabine, die Thomas Frank den Gründerinnen zum Selbstkostenpreis verkaufte. Zuvor hatten beide als Führungskräfte gearbeitet: Rebecca Frank war Projektleiterin beim Chemieunternehmen Evonik, Tatjana Utz-Erhardt Personalvorstand in der Einzelhandelsunternehmensgruppe Schwarz.
Ihre Firma haben die Schwestern bislang aus Eigenmitteln finanziert. Der Preis für einen einmaligen Saunagang beträgt 49 Euro. Die Auslastung liege bereits über dem Plan, sagt Utz-Erhardt. Sie rechnet damit, den Standort Karlsruhe in neun Monaten kostendeckend betreiben zu können. Derzeit liefen Gespräche mit Banken für einen Kredit in Millionenhöhe: Die Gründerinnen planen öffentliche Kältesaunen in allen deutschen Großstädten. Um die Planung und den Bau kümmert sich das Ingenieurbüro von Thomas Frank.
Coolinn verkauft die Kammern auch, die Kunden kommen vor allem aus der Sport- und Wellnessbranche. Mehr als 50 Interessenten hätten sich bisher gemeldet, so Utz-Erhardt. Der Preis beginnt bei 250 000 Euro, damit ist die Karlsruher Kammer etwas teurer als die Modelle der Konkurrenz. Dafür braucht sie laut Thomas Frank 15 bis 80 Prozent weniger Energie – je nachdem, mit welchem Produkt man sie vergleicht.
Gut 60 Kältesaunen mit alter Technik gebe es derzeit in Deutschland, sagt der pensionierte Arzt Winfried Papenfuß. Er hat ihre medizinischen Auswirkungen über Jahre untersucht. Seine Erkenntnis: Die Kälte verengt die äußeren Blutgefäße, das Blut zieht sich ins Körperinnere zurück und erhöht die Durchblutung der Muskeln – sie regenerieren schneller. Deshalb ist die Kältesauna im Leistungssport beliebt. Das merken auch die Schwestern: „Zu uns kommen Triathleten, Läufer, Basketballteams, Gewichtheber und Fußballer der ersten und zweiten Liga“, sagt Tatjana Utz-Erhardt. Außerdem Schmerz- und Rheumapatienten sowie Menschen mit Arthrose.
Die Temperatur schalte die Schmerzrezeptoren vorübergehend aus, sagt Winfried Papenfuß. Es gebe Fälle, in denen Menschen mit Rheuma eine verkrampfte Hand, die sie Jahre nicht mehr bewegen konnten, in der Kältesauna plötzlich wieder öffneten.
Obwohl die Kältetherapie im Gesundheitswesen nicht sonderlich bekannt ist, seien „ihre Wirkungen sehr gut belegt“, sagt Andreas Krause, Rheumatologe am Immanuel Krankenhaus in Berlin. Studien zeigten positive Effekte auf Rheumatiker und Patienten mit chronischen Schmerzen: „Der Verbrauch an Schmerzmitteln geht deutlich zurück.“ ---