Ernährung: Die Linderung vieler Beschwerden beginnt am Küchentisch | STERN.de

2022-09-09 12:44:11 By : Ms. JoJo XU

Der Schmerz, ihr Feind, überfiel sie beinahe jeden Morgen. Monatelang, jahrelang, immer an einer anderen Stelle. Er zerrte an ihren Muskeln, lähmte ihre Gelenke und saß ihr tief in den Knochen. Der Arzt? Ratlos. Er tippte auf Fibromyalgie, im Volksmund "Weichteilrheumatismus" genannt, den Mediziner gern als Ursache anführen, wenn sie eigentlich nicht wissen, was los ist. Der Arzt verordnete Schmerzmittel. Sie halfen kaum. So blieb Bettina Engels nichts übrig, als den Feind zu erdulden. Bis zum Sommer 2015. Da enttarnte sie ihn.

Heute sitzt die 49-jährige Personalentwicklerin zusammen mit Mann und Mutter in der Wohnküche ihres Mehrgenerationenhauses in Essen und erinnert sich an diesen unglaublichen Moment. "Der Tag begann wie fast immer" , erzählt sie, "ich stand aus dem Bett auf, und meine Füße waren unbeweglich und steif." Als sie zum Frühstückstisch humpelte, sagte ihr Mann: "Gestern Abend haben wir Steak gegessen, und heute hast du Schmerzen." Plötzlich durchfuhr sie beide ein Gedanke: In den vergangenen drei Wochen war es ihr viel besser gegangen – und ihr Metzger war im Urlaub gewesen.

Das Fleisch auf dem Teller und die Schmerzen im Körper – gab es da einen Zusammenhang? Bettina Engels beschloss, ein paar Wochen eisern auf Salami, Schnitzel und Filetspitzen zu verzichten. Mit einem professionellen Koch als Mann fiel ihr das nicht leicht. Aber sie merkte: Der Feind zog sich zurück.

Die Lösung des Problems hatte schon einige Zeit ganz nahegelegen, in ihrer Familie. Nur hatte Bettina Engels sie nicht erkannt. Schon zuvor hatte der Verzicht ihrer Mutter Gabriele Balandis, seit 30 Jahren Rheumapatientin mit maroden Fingergelenken und starken Schmerzen, zu einem neuen Leben verholfen. Während eines mehrwöchigen Aufenthaltes in der Klinik für Naturheilkunde an den Kliniken Essen-Mitte hatte der Chefarzt Gustav Dobos ihr eine Ernährungsumstellung verordnet: mediterrane Vollwertkost, keine Süßigkeiten – und kein Fleisch. Danach brauchte die Patientin kaum noch Schmerzmittel, sämtliche Gelenke waren deutlich beweglicher, und sie konnte das erste Mal seit Jahren wieder stricken.

Heute essen Mutter und Tochter nur noch gelegentlich Geflügelfleisch, auf Rind, Schwein und Wurst verzichten sie: Wenn ihre Männer grillen, stecken die Frauen Garnelen an den Spieß, statt Spaghetti Bolognese gibt es Tofu in Tomatensauce, statt Speck im Salat Räuchertofu. "Ich halte durch, sonst wäre ich auch verrückt", sagt Gabriele Balandis, an deren Fingern sich feine Narben von früheren Gelenkoperationen abzeichnen. "Wenn ich ausnahmsweise Fleisch esse, haut das richtig rein, und die Schmerzen werden schlimmer."

Was die Essener Familie durchlitten und schließlich erleichtert hat, ist seit einigen Jahren wichtiges Thema in der Rheumaforschung. Studien zeigen, dass sowohl vegetarische Ernährung als auch Fasten deutlich die Schmerzen reduzieren und die Schwellung der Gelenke zurückgehen lassen. Die molekularen Mechanismen sind noch nicht im Detail entschlüsselt, aber Arachidonsäure, eine Substanz, die in tierischen Produkten wie Fleisch und Wurst besonders reichlich enthalten ist, könnte dabei eine Rolle spielen: Sie wird im Körper zu entzündungsfördernden Stoffen abgebaut.

Muss der Mensch also verzichten, um gesünder zu leben? Bringt asketische Selbstdisziplinierung das Heil? Sicher nicht. Es nützt nichts, den vermeintlich guten Empfehlungen aus bunten Blättern zu folgen: entschlacken (was immer das sein soll) mit Ananas? Unsinn. Fit durch Quinoa? Kein Allheilmittel. Brokkoli gegen Krebs? Hilft leider auch nichts, wenn der Rest nicht stimmt.

Doch trotz dieser ernüchternden Antworten kann man in jedem Supermarkt den Schlüssel zur Gesundung finden. Man muss dazu nur dahinterkommen, welche Nahrungsmischung genau auf die Bedürfnisse des eigenen Körpers zugeschnitten ist.

Mediziner unterschiedlicher Fachrichtungen, Ökotrophologen, Zellbiologen und Altersforscher wissen inzwischen, wie eng Ernährung, Gesundheit und Krankheit zusammenhängen. Unumstritten ist, dass der permanente Überfluss an Fleisch, Fett, Zucker und Weißmehl der westlichen Welt ein Bündel an Zivilisationserkrankungen beschert: Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, Arthrose, Arteriosklerose und Krebs. Für eine Studie werteten amerikanische Ernährungswissenschaftler und Epidemiologen die Daten von mehr als 700.000 Menschen aus, die an Herzerkrankungen, Schlaganfällen oder den Komplikationen von Diabetes Typ II verstorben waren. Ihr Ergebnis: Mehr als 45 Prozent der Todesfälle waren Folge von langjährigen Ernährungsfehlern.

Richtige Nahrung kann aber nicht nur gegen die Entstehung bestimmter Krankheiten schützen – sie vermag auch, spezielle Leiden zu lindern. So profitieren Diabetiker und Patienten mit koronarer Herzkrankheit – in Deutschland etwa je sechs Millionen Menschen – nachweislich von Fisch, Olivenöl und Vollkornprodukten. Jene Menschen, die einen zu hohen Blutdruck haben, je nach Altersgruppe 35 bis 50 Prozent der Deutschen, können ihr Befinden durch eine salzärmere und kaliumreiche Kost verbessern; das heißt: wenig Brot und Fertiggerichte, viele Bananen, Karotten, Tomaten und Kartoffeln. Die sechs Millionen Osteoporose-Patienten hierzulande können die Kalziumaufnahme ihrer porösen Knochen erleichtern, indem sie mehr Lachs und Hering essen. Und Gichtkranke, derzeit sind es in Deutschland 1,6 Millionen, können ihre Gelenkschmerzen durch purinarme Nahrungsmittel verringern: weniger Fleisch, Fruchtsäfte und Bier, mehr Honigmelonen, Kirschen und Salat.

Aus immer neuen, detaillierten Fragen nach den Auswirkungen bestimmter Ernährungsweisen auf unsere Gesundheit entstehen unterschiedlichste Forschungsschwerpunkte: Welche Rolle spielt die Darmflora – die bei Vegetariern ganz anders zusammengesetzt ist als bei ihren fleischessenden Mitmenschen? Warum hilft eine bestimmte fettreiche Diät bei manchen Arten von kindlicher Epilepsie? Wieso senkt eine Portion Obst und Gemüse pro Tag bei Ex-Rauchern das Risiko, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung zu entwickeln?

Inzwischen erklären unzählige Ernährungsberater in Fernsehsendungen und Ratgeberbüchern, was Kranke speisen und was sie verschmähen sollten. "Früher haben sich Ärzte kaum für das Thema Essen interessiert" , erinnert sich Andreas Michalsen, Professor für Integrative Medizin und Chefarzt der Abteilung für Naturheilkunde am Berliner Immanuel Krankenhaus. "Es war egal, was die Patienten aßen – Hauptsache, die Medizin stimmte."

Michalsen hat einst viele Jahre in der Kardiologie gearbeitet. Da ging es um Herzkatheterlabor, OPs, Arzneien und Intensivmedizin – selten aber wurde mit den Erkrankten gesprochen. Wie viel bewegen Sie sich? Wie ernähren Sie sich? Heute, an seiner Berliner Klinik, in der er hauptsächlich chronisch Kranke behandelt, spielen die persönlichen Lebensgewohnheiten eine zentrale Rolle. In seinem Buch "Heilen mit der Kraft der Natur", das Anfang April erscheint, widmet Michalsen der richtigen Ernährung knapp 100 Seiten. Sein Credo: "Es ist unsinnig, sich schlecht zu ernähren und dann eine Tablette gegen die Beschwerden einzuwerfen."

Eine der Krankheiten, bei der eine Wechselwirkung zwischen Nahrungsmitteln, Essverhalten und Krankheitssymptomen offensichtlich und sehr unmittelbar besteht, ist die Migräne.

Als die Kopfschmerz-Attacken begannen, sie immer häufiger und heftiger heimzusuchen, war die Berufsschullehrerin Gudrun Timmermann-Hahn Anfang 40. "Die Migräne war so schlimm, dass ich aus dem Unterricht rennen und mich auf der Toilette übergeben musste", erzählt die heute 60-Jährige. "Sie dauert bei mir immer vier Tage lang. So kam es, dass ich damals mehr als 20 Tage im Monat Migräne hatte."

Erst ein stationärer Aufenthalt an der Schmerzklinik Kiel brachte Linderung. Nicht nur wegen der Medikamente, die dort neu eingestellt wurden. Sondern auch wegen der Beratung zur richtigen Ernährung. Professor Hartmut Göbel, Chefarzt der Klinik, sagt: "Migräne tritt dann auf, wenn das Gehirn in die Energieunterversorgung kommt. Deswegen besprechen wir mit unseren Patienten genau, was sie essen und wann sie es tun." Bei Timmermann-Hahn kam heraus: Morgens rannte sie mit einem Milchkaffee aus dem Haus, Frühstück gab's frühestens in der großen Pause. Oft aß sie nachmittags um halb vier das erste Mal richtig.

"Regelmäßige Energiezufuhr für das Gehirn ist eine wichtige Prophylaxe in der Migränebehandlung, damit Attacken erst gar nicht auftreten", sagt Göbel. Lange Zeit dachte man, es gäbe Migräne-auslösende Nahrungsmittel, etwa Schokolade und Käse. Inzwischen bewerten die Experten die Lust auf Süßes und Fettiges anders: "Der Heißhunger ist ein Symptom, dass die Migräne-Kaskade schon im Gange ist. Das Gehirn verlangt nach mehr Energie. Schokolade ist also nicht der Auslöser einer Attacke, sondern der letzte Versuch, sie zu stoppen", sagt Göbel.

Heute arbeitet Gudrun Timmermann-Hahn als Ernährungscoach und leidet wesentlich seltener unter Schmerzattacken – auch dank ihrer Disziplin. Zusammen mit Experten hat sie einen Zehn-Punkte-Plan erstellt, an den sie sich jeden Tag hält. "Ich habe gelernt, besser für mich zu sorgen", sagt sie. So lässt sie keine Mahlzeit mehr aus, packt stets ein Proviantpaket ein, wenn sie aus dem Haus geht, achtet darauf, dass sie wenig Zucker zu sich nimmt, dafür aber immer stärkehaltige Nahrungsmittel wie Brot, Kartoffeln und Reis – und kurz vor dem Schlafengehen holt sie sich noch eine letzte Kleinigkeit, um über die Nacht zu kommen. "Dann esse ich abends um halb zehn ein paar Löffel Haferflocken mit Milch und Obst oder Milchreis", erzählt sie. "Manche Patienten stellen sich sogar einen Wecker, um in der Nacht noch etwas zu essen", erklärt Hartmut Göbel. "Am häufigsten entwickeln sich Migräne-Attacken aus dem Schlaf heraus, wenn die Energiereserven des Gehirns leer sind."

Dieser Zusammenhang gilt auch für Kinder: Laut einer Studie leiden 30 Prozent der Schüler an Migräne. Für Göbel sind die Gründe offensichtlich: Jedes zweite Kind in Deutschland verlasse morgens das Haus, ohne gefrühstückt zu haben. "Viele der betroffenen Kinder bekommen dann im Unterricht Migräne."

Während Gudrun Timmermann-Hahn gut daran tut, reichlich zu essen und peinlichst genau alle Mahlzeiten einzuhalten, ist Tanja Gruber aus dem fränkischen Herrieden froh, endlich genau zu wissen, was sie weglassen muss. Seit ihrer Kindheit litt die 38-Jährige unter Bauchweh, Durchfällen und bleierner Müdigkeit. Sie wurde immer dünner, die Haare fielen ihr aus, und ihr wurde wegen der heftigen Bauchschmerzen der Blinddarm entfernt. Aber nichts half. Erst mit 22 Jahren bekam Gruber die richtige Diagnose nach einer Schleimhaut-Biopsie aus dem Zwölffingerdarm und einem Bluttest: Zöliakie, auch "Gluten-Intoleranz" genannt. Ihr Darm verträgt das Klebereiweiß im Weizen nicht. Das heißt: Jedes Brötchen, jeder Kuchen machte sie schwer krank. Der Dünndarm war so entzündet, dass er keine Nährstoffe mehr aufnehmen konnte. Schon 50 Milligramm Gluten reichen bei Gruber aus, um Schwindel und Durchfall auszulösen. Ihr Vater, ein Müllermeister, war fassungslos: Sein gutes Mehl hatte der Tochter jahrelang schwer zugesetzt. Aber er merkte schnell, wie viel besser es ihr ging, sobald sie spezielle Brötchen ohne Gluten aß. Heute backt sie Kuchen aus glutenfreiem Hefeteig und Torten ohne Mehl.

Auch zeitweiser Komplett-Verzicht kann bei vielen Krankheiten heilsam sein: In der Berliner Klinik für Naturheilkunde ist Heilfasten eine der wichtigsten Therapien. Während des stationären Aufenthalts fasten hier jährlich rund 1000 Menschen, die an Übergewicht, Bluthochdruck, Rückenschmerzen, Gelenkverschleiß, Rheuma, Diabetes oder Reizdarmsyndrom leiden. Ein Großteil von ihnen schluckt zu Hause eine Vielzahl Arzneien, in der Klinik stehen dann, neben der klassischen Medizin, sehr einfache Dinge auf dem Plan: klare Gemüsebrühe, Obst- und Gemüsesäfte. "Viele sind anfangs skeptisch", sagt Chefarzt Andreas Michalsen. "Aber bei den meisten stellen sich schnell Verbesserungen ein. Die Gelenke und der Rücken schmerzen weniger, der Blutdruck sinkt." Die Stoffwechselumstellung wirke wie eine Art Neustart des Systems. "Die Laborkontrollen ergeben niedrigere Entzündungs-, Blutzucker- und Fettstoffwechselwerte. Oft können Patienten mehrere der Medikamente weglassen, die sie davor seit Jahren einnehmen mussten." Zudem helle sich bei vielen die Stimmung auf, da vermehrt Nervenbotenstoffe wie Serotonin und Endorphine zur Verfügung stünden.

Fasten – was lange Zeit von vielen Schulmedizinern als altertümliches Brauchtum oder asketische Spinnerei von Wohlhabenden abgetan wurde, hat sich zum beliebten Forschungsgebiet in der internationalen Wissenschaft gemausert. So wies der renommierte amerikanische Altersforscher Valter Longo an Bakterien, Würmern und Nagetieren nach, dass sich deren Lebensspanne verlängerte und die Organismen vergleichsweise gesund blieben, wenn sie regelmäßig fasteten oder sich zumindest nicht immer satt essen konnten. Zudem entdeckte er in einer Studie mit Brustkrebspatientinnen, dass Chemotherapeutika in jener Gruppe besser vertragen wurden, die während der Behandlung fastete.

Eine Forschungsarbeit, die die heilende Wirkung des Fastens auf Zellen nachweist, wurde 2016 sogar mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet. Der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi hatte die "Autophagie" untersucht – einen Aufräummechanismus in Zellen, der in Gang gesetzt wird, wenn die Zelle gestresst ist, wie etwa beim Fasten. Alte, beschädigte Zellstrukturen werden recycelt und zu neuen aufgebaut – eine Art Großreinemachen mit gesundheitsfördernder Wirkung.

Im Laufe seines Lebens hat Chefarzt Michalsen selbst unterschiedliche Varianten des Fastens ausprobiert. Beim ersten Mal war er noch Student und lebte mehrere Tage asketisch. Doch dann gönnte er sich zum Kostaufbau statt Apfelschnitzen lieber Pizza, Kuchen und Kaffee – und bekam schreckliche Bauchschmerzen. Als er es Jahre später noch einmal versuchte und zehn Tage lang fastete, erlebte er, was viele Patienten ihm heute auch von sich berichten: Zuerst wurden seine Rückenschmerzen schlimmer, danach wesentlich besser. "Warum das so ist, wissen wir noch nicht so genau", sagt er.

Es gibt viele Arten des Fastens, die positiv wirken: eine Woche am Stück; einen Tag essen, einen Tag darben; mehrere Stunden am Tag. Michalsen praktiziert derzeit das intermittierende Fasten, eine Methode, bei der er jeden Tag eine Mahlzeit auslässt und dadurch 14 Stunden lang keine Kalorien zu sich nimmt. "Ich esse früh zu Abend und lasse dann das Frühstück weg", sagt er. Das heißt aber auch: kein Milchkaffee mit Zucker am Morgen, sondern Tee oder Espresso, schwarz. Das Gute an dieser Methode sei, dass man einfach loslegen könne. Während beim mehrtägigen Heilfasten manche Medikamente abgesetzt werden müssten, könne jeder – egal, ob gesund oder krank – mit dem intermittierenden Fasten beginnen.

"Unsere Ernährung entscheidet nicht nur darüber, wie schlank wir derzeit sind, sondern auch, wie gesund oder krank wir die zweite Hälfte unseres Lebens verbringen werden", sagt Michalsen, "50 bis 70 Prozent der chronischen Erkrankungen sind ernährungsabhängig." Die Zusammenhänge von Nahrungsmitteln und der Häufigkeit von Herzinfarkten, Schlaganfällen, Diabetes und Krebs sind klar belegt. Früher aß Michalsen selbst am liebsten Schweinebraten mit Spätzle, heute lebt er vegetarisch. Vor zwei Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation Fleisch und Wurst als krebsfördernd eingestuft, tierische Eiweiße sind ein schädlicher Faktor für die Entstehung der meisten Zivilisationskrankheiten.

Experten empfehlen als gesündeste aller Kost: die mediterrane Küche. Viel Gemüse, Obst, Olivenöl, Vollkornprodukte, Nüsse, wenig Fleisch, Wurst, Zucker, Weißmehl. Doch so simpel das Rezept ist, so schwer fällt es vielen, sich umzustellen. Zwei Drittel der deutschen Männer sind zu dick, die Hälfte der Frauen ebenfalls.

"Wir haben einen Steinzeit-Körper, der darauf ausgerichtet ist, Süßes besonders gern zu mögen. Und wir leben im Schlaraffenland, in dem uns die Schokocroissants und Muffins sozusagen permanent in den Mund fliegen", erklärt Jutta Mata, Professorin für Gesundheitspsychologie an der Universität Mannheim. Essen sei ein hochkomplexes Phänomen und habe unter anderem viel mit dem sozialen Austausch von Menschen in der Gruppe zu tun, deswegen fiele die Umstellung nicht leicht: das Stück Torte beim Geburtstagsfest, die Schweinshaxe am Stammtisch. "Wenn der Arzt sagt, man soll fünf Kilo abnehmen, reicht das allein als Motivation oft nicht aus – weil der Anstoß von außen kommt", sagt sie. "Wenn man es aber schafft, Gründe zu finden, warum es für einen selbst wichtig ist, gesund zu essen und gesund zu bleiben, ist der Antrieb viel stärker. Nach dem Motto: Ich will meine Kinder möglichst lange aufwachsen sehen. Oder: Ich will beweglich und unabhängig bleiben."

In Deutschland erfreut sich die Lebensmittelindustrie ungestört an riesigen Umsätzen mit ungesunden Waren, in anderen Ländern ist man da schon weiter. So gibt es in Norwegen etwa ein Siegel, es heißt "das Schlüssellochsymbol", womit Frühstücksflocken gekennzeichnet werden, die vollwertig sind und wenig Zucker enthalten. "Viele norwegische Eltern kaufen jetzt nur noch diese Flocken für ihre Kinder, weil sie gut und in sind" , sagt Mata. Und in England sei inzwischen Werbung für ungesunde Kindersüßigkeiten verboten, genauso wie Automaten für Süßgetränke in Schulen. "Wieso schaffen wir das in Deutschland nicht?" , fragt sie.

Gabriele Balandis, die Rheumapatientin, hat gelernt, den Verzicht auf möglichst angenehme Art in ihr Leben zu integrieren. Wenn ihre Sehnsucht nach Fleisch gar zu groß wird, kocht sie einen Sauerbraten. Nicht, um ihn selbst zu essen, das übernimmt ihr Mann – aber "allein den Braten zuzubereiten", sagt sie, "ist mir Genuss genug".

Seit der Recherche für diesen Text versucht Anika Geisler, ihren Kindern etwas mehr Obst ins Schokomüsli zu schmuggeln – was nur selten unbemerkt bleibt. Daniel Sippel sprach mit Patienten und Ernährungsexperten. Mathias Schneider und Nicole Simon unterstützten die Arbeit.

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