Pflaster, Eisbeutel, Tampons: Ein Morgen im Samariterzelt des Grümpelturniers Berg

2022-09-17 14:04:34 By : Ms. Michelle Huang

Am Grümpelturnier überschätzt sich der eine oder andere Spieler gerne einmal. Das kann schmerzhaft enden. Dafür sind die Samariter zur Stelle. So auch in Berg SG, wo die Helfer dieses Wochenende nicht nur Blasen behandeln.

Es drückt am grossen Zeh. Ein eingewachsener Nagel, zwei Blasen, und das alles in engen Fussballschuhen. Das Mädchen liegt auf dem Feldbett im Samariterzelt und beisst die Zähne zusammen. Monika Enz und Vreni Baumann besprechen sich kurz, dann desinfizieren sie, kleben Pflaster auf die Blasen und wickeln einen Verband um den Zeh. Fertig. Das Mädchen steht wieder auf. Auf das Spielfeld zurück geht es vorerst aber nicht mehr.

Wenn beim alljährlichen Grümpelturnier in Berg SG an diesem Samstag 68 Mannschaften gegeneinander antreten, ist der Samariterverein Berg stets vor Ort. Verletzungen sind an der Tagesordnung. Die Spieler: teils unerfahren, untrainiert, manchmal nicht einmal aufgewärmt, ehrgeizig, übermütig. Der Platz: ungewohnt. Die Stimmung: aufgeheizt. Man will sich beweisen vor den Kollegen und dem Dorf. Das endet nicht selten schmerzhaft. «Vor allem in der Finalphase», sagt Christian Würth, Präsident des Samaritervereins. «Dann wird aus Spass Ernst.»

Um Verletzungen vorzubeugen, sind in Berg Schienbeinschoner Pflicht. Sonst pfeifen die Schiedsrichter das Spiel nicht an. Stollenschuhe sind verboten. Auf Alkoholkonsum während der Spielphase sei zu verzichten, schreiben die Veranstalter. Dass es damit nicht alle Grümpi-Teilnehmer allzu ernst nehmen, lassen Gruppen mit Namen wie «Kampftrinker Sektion Säntis» oder «Schüga» erahnen. So fliesst das eine oder andere Bier schon am Samstagmittag im Festzelt. Ein Grümpelturnier ist eben auch ein Dorffest.

Wer antritt, spielt auf eigene Gefahr. Christian Würth erinnert sich:

Der Mann fiel danach bis März bei seiner Arbeitsstelle aus. Deshalb würden immer mehr Firmen ihren Mitarbeitenden verbieten, bei Grümpelturnieren mitzumachen.

Die Zahl der Nichtberufsunfälle wuchs gemäss einer Statistik der Unfallversicherung Suva im Jahr 2018 um 2,7% auf 276'317. 45'000 der Unfälle haben sich auf Fussballplätzen ereignet. Vor allem Hobbyfussballer in der Altersgruppe 50+ überschätzen ihre Form, heisst es im Bericht. Die Hälfte aller Verletzungen betrifft die beiden unteren grossen Beingelenke, Sprunggelenk, Knöchel und Knie.

Das zeigt sich auch an diesem Morgen auf der Wiese neben dem Schulhaus Brühl. Christian Würth, Monika Enz und Vreni Baumann verarzten vor allem Verstauchungen, Zerrungen und Blasen. Ein Goalie hat einen Tritt auf den Unterarm abbekommen und fragt nach Kühlspray. «Den gibt es bei uns aus Prinzip nicht», sagt Würth. Bei Kühlspray besteht die Gefahr einer Verbrennung, ausserdem kann es passieren, dass grössere Verletzungen darunter kaschiert werden. «Wir tragen die Verantwortung.» Der Samariter reicht dem Goalie ein Kühlelement, eingepackt in einem selbstgenähten Beutel.

Die Samariter haben ihre Tipps und Tricks. Wespenstich? Zuckerwürfel anlecken und auf den Stich drücken – das saugt das Gift raus. Zu enge Schuhe? Einen Damenstrumpf unter die Socken ziehen – das vermeidet Reibung. Prellung oder Verstauchung? Den Verband zuvor in Eiswasser einlegen – das kühlt länger. Nur einmal, vor ein paar Jahren, da waren die Samariter etwas überrumpelt, als eine Spielerin nach einem Tampon fragte. Seither sind auch solche griffbereit.

Der Materialwagen der Samariter ist gut gefüllt. Pflaster, Wärmegel, Kühlbeutel, Handschuhe, Desinfektionsmittel, Blutdruckgerät, Taschenlampe, Verbände, Halskragen und mehr. An der Wand klebt ein Zettel mit der Nummer von Dr. Wälti, Hausarzt im Nachbarsdorf. Wenn's im Notfall zu lange dauert, bis der Rettungswagen kommt, ist er zur Stelle. Freiwillig.

Auch die Samariter verdienen an diesem Wochenende nichts. Zwar erhält der Verein eine Entschädigung für Material und Aufwand, diese sei aber gering, sagt Würth. Mit dem Berger Grümpelturnier wird ein grosser Teil des Skilagers für die Primarschüler finanziert. Für Würth ist es Ehrensache, dass sein Verein hier einen Einsatz leistet. Der Bergler ist nicht nur Präsident des Samaritervereins, er ist auch im Gemeinderat und war viele Jahre in der Feuerwehr. «Es gab Zeiten, da hatte ich in einigen Vereinen ein Amt», sagt er. Dass die Vereine unter Mitgliederschwund leiden, weil sich viele Leute nicht mehr freiwillig engagieren wollen, findet er schade. So verliere ein Dorf seine Identität.

Unterstützt wird der Samariterverein Berg am Grümpi von Mitgliedern der Samaritervereine Häggenschwil und Wittenbach. «Ohne diese Zusammenarbeit könnten wir einen solchen Anlass nicht stemmen», sagt Würth. Dass Samaritervereine um Nachwuchs kämpfen, hat noch einen Grund. Sie werden das Image der «Pflästerlitanten» nicht los.

Das sagt Monika Enz vom Samariterverein Häggenschwil. Sie bildet Samariter aus. In Kursen der sogenannten Stufe IVR 2 vertiefen die Ersthelfer die nötigen Kenntnisse, alle zwei Jahre muss dieser siebenstündige Kurs erneuert werden. Wer das versäumt, darf nicht aufgeboten werden.

Das stellt den Präsidenten des Vereins, der gerade einmal zehn Leute zählt, vor eine organisatorische Herausforderung. Den Einsatzplan fürs Grümpi im August, macht er deshalb schon Monate zuvor. Um schon die Kleinsten für den Samaritverein zu begeistern, gibt es eine «Help»-Gruppe für Kinder ab der zweiten Klasse. Diese leitet Samariterlehrerin Martina Haltiner, die am Grümpi ebenfalls Postendienste übernimmt und die Vereine Berg und Wittenbach in der Aus- und Weiterbildung unterstützt.

Zurück auf der Schulwiese. Über die Lautsprecher wird die nächste Gruppe aufgerufen, es nieselt, die Zuschauer am Spielfeldrand spannen die Regenschirme auf. Vor dem Samariterzelt steht ein Mann und fragt nach Blutverdünnern. Das haben die Samariter nicht. Christian Würth fragt nach seinen Beschwerden. Der Spieler winkt ab. Sei schon gut, kein Problem, er könne das schon einschätzen, und dreht wieder um. Christian Würth ist skeptisch. Er überlegt kurz, dann verlässt er das Zelt und läuft dem Mann hinterher. Er trägt die Verantwortung.